Einsichten

Diese Seite hat täglich einen bis drei Besucher. Seit 2012 sind 5.900 Besuche verzeichnet worden, wovon viele natürlich meine eigenen waren. Mehr als die Hälfte der Aufrufe gabs alleine im Jahr 2015. Es gibt 27 Follower und 187 Beiträge. Der beste Tag war der 27.05.2015 mit 192 Aufrufen. Um es kurz zu machen: Diese Website ist weder besonders beliebt noch besonders aktiv.

Sie hat trotzdem eine Existenzberechtigung: Es gibt fast keinen Artikel aus dem Jahr 2012 der bis heute überlebt hat. Meine Interessen, meine Ansichten, meine Befürchtungen und meine Bewertungen meiner Artikel haben sich stark verändert und diese Seite ist eine Erinnerung dieser Veränderung. Ich erinnere mich an unzählige Artikel nicht mehr und sehe sie nur als „gelöscht“ in der Statistik. Ich weiß, dass ich einige eilig gelöscht habe, als mir klar wurde, wie unsinnig sie sind. Andere habe ich nicht wirklich gelöscht, sondern nur unsichtbar gemacht, weil ich wegen dieser Artikel nicht in ein falsches Licht gerückt werden wollte. Meine Selbstdarstellung hat sich ebenfalls verändert und jedesmal, wenn ich alte Beiträge lese, wundere ich mich darüber, wie lange manche Themen mich schon beschäftigen und wie stark mein Zeitgefühl mich täuscht.

Diese Seite verdeutlicht mir verfestigte Interessen, kurze Abschweifungen und Irrwege in fremde Gefilde. Es gibt Themen, die überlasse ich inzwischen lieber anderen. Das betrifft hauptsächlich das Themengebiet Religion und Theologie. Es gibt einfach qualifizierte Autoren, die fast alle online unterwegs sind. Andere Themen, wie Religion und Grundgesetz, werden mich weiter beschäftigen und sobald ich etwas Interessantes lese, werd ich auf dieser Website darauf hinweisen. Auch meine Erfahrungen mit gemeinnütziger Arbeit zu Förderung des Islams wird sicherlich irgendwann wieder Anlass für einen Artikel geben. Wahrscheinlich nicht mehr im Hochschulkontext aber aus neuen Perspektiven. Vielleicht schreibe ich mal was über ein Netzwerk muslimischer Akademiker, deren Treffen ich inzwischen so oft es geht besuche.

Ich wollte diese Website vor ein paar Minuten spontan löschen. Ich hab’s dann doch nicht getan und das war auch gut so. Erst denken, dann löschen oder eben nicht.

Kostenlose Bücher über den Islam – Lieber nicht!

Insbesondere an Info-Ständen von muslimischen Vereinen, Hochschulgruppen oder auch in einigen Moscheen liegen schmale Bücher mit Basisinformationen zum Islam aus. Oft kennen die Verantwortlichen für den Stand den Inhalt und die Macher der Bücher überhaupt nicht. Irgendwer hat irgendwann einen Karton voller Bücher irgendwo bestellt. Wahrscheinlich zufällig online entdeckt und einfach mal angefordert. Und was kann an Titeln, wie „Was ist Islam?“, „Die Frau im Islam„, „Toleranz und Nachsicht“ oder „Wissenschaft und Koran“ schon großartig falsch sein.

Tatsächlich kann daran sehr viel falsch sein. Und dabei geht es noch gar nicht um die ebenso häufigen inhaltlichen Fehler, sprachlichen Absurditäten und den unangenehm aufdringlichen Ton. Das Problem ist häufig schon die Herkunft der Bücher und die Wahl der Themen.

Leider bringen viele unseriöseAnbieter diese kostenlosen Bücher und Broschüren in Umlauf. Oft stehen zwar auch große Mengen kostenlos zur Verfügung, was verlockend sein kann, doch stellt sich das Material am Ende häufig als wertlos oder sogar gefährlich für den eigenen Auftritt dar. Wenn sich jemand vom Info-Stand, etwa einer Hochschulgruppe, ein Büchlein mitnimmt und beim Googeln des Autors oder beim Besuch der im Buch abgedruckten Internetseite bei Pierre Vogel, Hassan Dabbagh, einem Verfassungsschutzbericht oder einer eindeutig salafistischen Internetseite landet, dann kann das im schlimmsten Fall für den Verein das Aus bedeuten. Außerdem sind diese Bücher mit großer Wahrscheinlichkeit dann auch inhaltlich nicht gerade repräsentativ.

Die Verbindungen und Ansichten, die sich keiner wirklich zu eigen machen möchte, sind allerdings nicht immer so offensichtlich. Erstens lohnt sich immer ein Blick ins Buch, weil auf das zurückhaltende Cover (oft ohne Autor) meist eine Seite voller Namen und Organisationen folgt. Zweitens sollten sich Verantwortliche sehr gut überlegen, ob sie überhaupt willens und in der Lage wären den missionarisch anmutenden Ansatz vieler Bücher mitzutragen. Da gibt es etwa eine ganze Reihe von Büchern und Broschüren über Wissenschaft und Koran. Dieses Thema wird nicht nur von den oben genannten salafitischen Materialien aufgegriffen, sondern von fast allen Anbietern von Info-Material. Die Idee, den Wundercharakter des Qurans mit Versen nachzuweisen, die moderne wissenschaftliche Erkenntnisse vorweggenommen haben sollen, ist nahezu ein Standard unter Muslimen. Nur ist den wenigsten klar, dass dieses Argument eine Büchse der Pandora ist. Viele Texte auf diesem Gebiet sind schlecht gemacht, leicht zu dekonstruieren und in sich unschlüssig. Auf Nachfrage müsste man in der Lage sein, massive Probleme dieser Argumente zu lösen, die teilweise (ehrlich gesagt) unlösbar sind.

Einige Texte können aber auch regelrecht peinlich sein. Ein sehr schlechter Abklatsch von christlichem Kreationismus vermittelt wahrscheinlich eher den weltfremden Eindruck, den Sektenprediger und Gurus hinterlassen. Noch schlimmer ist es, wenn alte Harun Yahya Texte am Stand liegen, die von dem Rapper Kollegah übersetzt wurden. Kollegah (Felix Blume) ist momentan schließlich für antisemitische Texte und seinen Glauben an esoterische Verschwörungstheorien in der Presse. Harun Yahya (Adnan Oktar) präsentiert sich inzwischen im türkischen Fernsehen gerne mit aufgetakelten Blondinen, die ihn anhimmeln.

Info-Material will sorgfältig ausgewählt, vorher gelesen und überdacht sein. An dieser Stelle kann schonmal von folgendem Material unbedingt abgeraten werden:

  • „Was ist Islam?“ von dem Autor al-Kurdi
  • Material vom Autor al-Sheha
  • Material vom Islamic Propagation Office bzw. Cooperative Office for Dawa Guidance amongst Foreigners in Rabwah/Riyadh
  • „Der edle Quran und seine wissenschaftlichen Wunder“ vom CIMS
  • „Wissenschaftliche Wunder als offenbart im Quran und Aussagen des Propheten“ von Itidal Albanawi
  • Material von der International Commission on Scientific Signs in the Quran and Sunnah

Religion und Grundgesetz

Wenn ich sage, dass gemäß der Respektkonzeption der Toleranz staatliche Institutionen, etwa Gerichte oder Schulen, wenn sie staatliche Schulen sind, nach Prinzipien funktionieren müssen, auf Normen beruhen müssen, die alle Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen als Freie und Gleiche akzeptieren können, dann heißt das, dass nicht per Gesetz in Gerichtssälen oder Klassenzimmern Kruzifixe oder Kreuze hängen können. Das heißt aber nicht, dass nicht Lehrerinnen ein religiöses Symbol um den Hals tragen können oder auf dem Kopf, solange sie in ihrer Praxis des Lehrerseins oder des Richterseins nicht eine Parteilichkeit erkennen lassen, die problematisch ist. Man muss also unterscheiden zwischen einem Symbol, das per Gesetz an der Wand hängt – und das ist eine Verletzung der staatlichen Neutralität -, und Symbolen, die Individuen tragen oder aufweisen, die staatliche Funktionen ausfüllen. Die sind nicht per Gesetz verpflichtet, diese Symbole zu tragen, sie sind aber per Gesetz verpflichtet, ihre religiösen Überzeugungen nicht in die Praxis ihrer pädagogischen oder juristischen Tätigkeit so einfließen zu lassen, dass eine unfaire Parteinahme resultiert. Also, mit der Neutralität vereinbar ist das Kopftuch einer Lehrerin, nicht aber das Kreuz per Gesetz an der Wand.

Rainer Forst, Professor für politische Theorie und Philosophie, im Gespräch mit Katja Weber in der DLF Sendung Essay und Diskurs

Ganz und gar deutsche Muslime

Leitkultur-, Islamisierungs-, Integrations- und Islamdebatten ignorieren eine wichtige Tatsache: Es gibt sehr viele deutsche Muslime, womit nicht Muslime mit deutscher Staatsangehörigkeit, sondern Muslime ohne Migrationshintergrund gemeint sind. Diese Gruppe der Konvertiten oder deren Nachwuchs finden sich höchstens mal in Analysen zur Extremismusgeneigtheit dieser Gruppe wieder. Ihre Allgegenwärtigkeit in muslimischen Gemeinden und ihrem maßgeblichen Einfluss auf das muslimische Leben in Deutschland wird das nicht gerecht. Ebensowenig werden sie in den Moscheegemeinden ausreichend berücksichtigt, weil sich die Vorstellung eingeschlichen hat, Muslim und Deutscher seien Bezeichnungen für sich widersprechende Gattungen.

Um die Wichtigkeit dieser Gruppe zu verdeutlichen ein Beispiel aus meiner eigenen Biografie:

Ich komme aus einer kleinen Großstadt, die gemeinhin als Provinz bezeichnet wird. Hier gibt es nicht besonders viele Muslime aber dennoch genug, um etliche kleine Moscheen zu unterhalten und von einer muslimischen Community sprechen zu können. Natürliche Phänomene, die es in unserer Community gibt, sind in größeren Städten mit größerem Anteil an muslimischen Einwohnern noch selbstverständlicher und häufiger. Und natürlich haben wir jede Menge Konvertiten und das nicht seit gestern.

Ich bin nur eines von vielen Kindern gewesen, dass einen deutschen Elternteil hatte und in unserer Moschee aufgewachsen ist. Deutsche Mütter waren in unserem näheren Bekanntenkreis sogar eine zeitlang die Regel. Selbst die Frau eines arabischen Predigers, dessen Unterrichte unsere Eltern besuchten, war konvertiert und zudem eine der wichtigsten Frauen der muslimischen Community in unserer Stadt. Es ist daher keine große Überraschung gewesen, dass sich das Schicksal dahingehend wandte, dass meine Schwiegermutter und der Schwiegervater meines Bruders ebenfalls deutsche Muslime sind.

Die Treffen deutschsprachiger Muslime, die meine Eltern besuchten, hatten oft konvertierte Redner im Programm und meine Eltern brachten Bücher von konvertierten Autoren aus der orientalischen Buchhandlung im Erdgeschoss mit hoch. Die Namen berühmter Muslime, die ich aus meiner Kindheit kenne, sind Hofmann, Krausen, Kalisch, Grimm, Siddiq, von Denffer, Asad, Spohr. Auf einem der frühsten Gräber des islamischen Friedhofs in unserer Stadt steht ein deutscher Name und selbst Jahre später wurde der erste islamische Vortrag, den ich als Erstsemester an meiner Uni hörte, von einem Konvertiten gehalten, der über Futuwa sprach.

Es ist auch kein Wunder gewesen, dass unsere Moscheegemeinde irgendwann den Ruf einer Konvertiten-Moschee hatte und sich bis heute deutsche Muslime besonders häufig in unserer Gemeinde wiederfinden. Man sucht schließlich Muslime, die Deutsch sprechen. Den türkischen Vorstand unserer Moschee hat das bis auf die Tatsache, dass der langjährige Vorstandsvorsitzende auch mit einer Deutschen verheiratet ist, bisher inhaltlich kalt gelassen. Noch heute gibt es eine Gruppe junger konvertierter Frauen, die mangels Interesse der Verantwortlichen und der älteren Gemeindemitglieder weder religiös noch sozial den Anschluss finden. Dabei haben sich die Zeiten gründlich geändert. Inzwischen sind die Konvertiten nicht nur Menschen, die durch eine Ehe in eine muslimische Familie integriert und damit oft schon an ein soziales Umfeld angeschlossen sind. Vielmehr gibt es bereits mehrere Generationen an konvertierten Einzelgängern. Die jüngsten fast noch Kinder und die ältesten manchmal schon lange in Rente. Der jüngste Konvertit, den ich bei uns kennengelernt habe, war 12. Ich muss gestehen, dass ich seinen Übertritt zum Islam kritisch sah aber er gehörte zu einer ganzen Reihe Minderjähriger, die von selbst in die Moschee kamen. Einige blieben und für andere war es vielleicht nur eine Episode, ein Abenteuer oder eine kleine Rebellion.

Nichtsdestotrotz gibt es selbst in unserer „Provinz“ immer noch eine beachtliche Anzahl an Deutschen, die schon vor vielen Jahrzehnten zum Islam übergetreten sind. Es gibt eine Generation an Kindern von Konvertiten, die wiederum selbst Kinder haben. Es gibt unzählige jugendliche, heranwachsende und erwachsene Muslime, die vor einigen Jahren oder erst kürzlich konvertiert sind. Nicht wenige davon haben Kinder und andere wiederum leben noch in einem Haushalt mit ihren nicht-muslimischen Eltern.

Die Ethnisierung des Islams und die Debatte um die Integrationsfähigkeit der Muslime muss diesen deutschen Muslimen absurd vorkommen. Sie muss uns angesichts dieser nicht unerheblichen Gruppe der Muslime ebenfalls zu denken geben. Zunächst über die Zugänglichkeit unserer Gemeinden und ausgrenzende Symbole oder Mechanismen. Dann über die Vermengung von Fragen der religiösen Vielfalt und Fragen der Zuwanderung bzw. Integration. Und schließlich über die Rolle, die diese deutschen Muslime für die Wahrnehmung des Islams durch die Mehrheitsgesellschaft spielen könnte.

Sind deutsche Muslime nicht das perfekte Argument, die unwiderlegbare Tatsache und der augenfälligste Bewies dafür, dass der Islam längst zu Deutschland gehört? Denn es sind nicht nur viele Muslime inzwischen Deutsche, sondern viele Deutsche auch Muslime geworden. Die Grenzen sind längst verwischt.